Frieden den Nationen [Sacharja 9,10]

Anmerkung der Redaktion: Dieser Vorabbericht zu Kapstadt 2010 wurde von Dewi Hughes im Auftrag einer internationalen Beratergruppe geschrieben und ist eine Übersicht zum Thema „Ethnizität und Identität“, welches an der Multiplex-Session diskutiert wird. Zur Beratergruppe gehören: Claude Nikondeha [Burundi], Gerard Willemsen [Schweden], Joseph Nyamutera [Ruanda], Joyce Dube [Zimbabwe/Südafrika], Menna Machreth [Wales], Nyasha Manyua [Zimbabwe], Peter Nyende [Kenia], Philbert Kalisa [Ruanda], Prabu Deepan [Sri Lanka], Rhiannon Lloyd [Wales], Solomon Sule-saa [Ghana], Tito Paredes [Peru], CSW. Stellungnahmen zu diesem Bericht durch die Lausanner globalen Gespräche werden an den Autor und andere Personen weitergeleitet und sollen dabei helfen, die endgültige Präsentation am Kongress festzulegen. 

Ethnizität im Auftrag Gottes

Wenn eine Session über Ethnizität mit der Bitte an das Publikum beginnt, die ersten Gedanken zu notieren, die in den Sinn kommen, wenn man die Worte ‚ethnisch’, ‚Ethnizität’ oder ‚ethnische Identität’ hört, dann ist das meistgenannte Wort, welches üblicherweise als Erstes auftaucht, „Konflikt“. In der Tat sind die Mehrheit der Worte, die genannt werden, negativ. Demzufolge ist es nicht überraschend, dass viele evangelikale Christen Ethnizität als gefährlich und/oder als einen entzweienden Teil der menschlichen Identität betrachten, welcher heruntergespielt oder sogar vermieden werden sollte. Und trotzdem lieben viele Christen ihre ethnische Identität und sehen sie als ein Geschenk Gottes. 

Bevor wir untersuchen, was die Bibel über Ethnizität sagt, könnten einige Definitionen hilfreich sein.

Definition Ethnizität: Die folgenden Definitionen reflektieren die gegenwärtigen Gedanken: 

Die Transliteration aus dem griechischen Plural von ethnos ist ethne und wird in der Bibel übersetzt als „Nationen“ oder „Heiden“. Ethnos [singular] und ethne [plural] werden in dieser Abhandlung als deutsche Substantive verwendet.

Ethnos – Eine Art von Gemeinschaft mit einem Bewusstsein, ein Volk zu sein, das anders ist als alle anderen Völker, mit den folgenden Charakteristiken:

  • ein geläufiger Eigenname;
  • der Glaube an gemeinsame Vorfahren;
  • eine gemeinsame Geschichte, Erinnerungen an eine gemeinsame Vergangenheit;
  • Elemente einer gemeinsamen Kultur, wie Sprache, Bräuche, Sachkultur und Religion;
  • eine Verbindung zu einem Heimatland;
  • ein Sinn für Solidarität.

‚Ethnische Minderheiten’ –Ethne, welche aus verschiedenen Gründen, wie Migration oder Verschleppung (Sklaverei), aus einem Staat vertrieben wurden.

 ‚Nationale Minderheiten’ oder ‚Naturvölker’, Ethne, welche unterdrückt oder im Gebiet Ihrer Vorfahren an den Rand gedrängt wurden.

Im Licht dieser Definition wird der Begriff „Nation“ problematisch, insbesondere im Kontext des gängigen Gebrauchs. Zum Beispiel nennen viele das Vereinigte Königreich (Grobbritannien) eine „Nation“, während gemäb obiger Definition das Vereinigte Königreich ein Land oder ein Staat ist, welcher aus drei nationalen Minderheiten gebildet wurde: Naturvölkern, einer vorherrschenden nationalen Mehrheit und vielen ethnischen Minderheiten.

Aufgrund dieser Definition gibt es heute kaum mehr einen ‚Nationalstaat’– wenn man voraussetzt, dass ein Staat über eine einzelne Nation regiert. Korea (Nord und Süd) und Lesotho sind seltene Beispiele von Staaten, welche nahe an eine individuelle Nation (Ethnos) herankommen.

Die überwältigende Mehrheit der Staaten dieser Welt vereinigen viele Nationen (Ethne), obwohl in vielen multiethnischen Staaten ein Ethnos überwiegt. Um zu verdeutlichen, was diese Definition für einen Staat bedeutet, mag es hilfreich sein, das folgende typische Beispiel eines nachkolonialen Staates zu betrachten.

Uganda:  Hat über 50 Ethne in vier Hauptgebieten. Die gröbte Division sind die Bantu in der südlichen Hälfte des Landes, welche mehr als 60 % der Bevölkerung ausmachen und beinahe die Hälfte der Ethne im Land repräsentieren. Das gröbte Ethnos sind die Baganda, welche das Gebiet rund um die Hauptstadt Kampala dominieren, obwohl sie weniger als ein Fünftel der Landesbevölkerung repräsentieren. Die Bagandas sind mehr als zweimal so zahlreich wie jedes andere einzelne Bantu-Ethnos, obwohl einige von ihnen – wie die Bankole, Bakiga und Basoga – zwischen einer und zwei Millionen zählen. Die zweitgröbte Division sind die Niloten, welche auf die nördliche Hälfte des Landes konzentriert sind. Sie umfassen rund einen Viertel der Bevölkerung, unterteilt in 18 Ethne, darunter die Iteso, Acholi und Karamajong. Die dritte Division ist das sudanische Ethnos im Nordosten, welches lediglich 5 % der Bevölkerung repräsentiert. Aber selbst dieses ist in acht weitere Ethne unterteilt. Die letzte Division von etwa 2 % wird aus Immigranten von Nachbarstaaten und der wachsenden asiatischen Gemeinschaft gebildet.

Ethne im modernen Denken

Laut westlichen Historikern der Moderne und politischen Philosophen entstand das Muster von „Nationalstaaten“, welches die moderne Welt im achtzehnten Jahrhundert charakterisiert, als die politische Philosophie der Aufklärung in die Tat umgesetzt wurde, durch die Gründung der USA und das nachrevolutionäre Frankreich. Die Freiheit und die Gleichheit, welche diese neuen Staaten boten, bestand aus der Gleichberechtigung, sich beim politischen Prozess zu engagieren und der Freiheit, sich an wirtschaftlichen Aktivitäten zu beteiligen. Teil des Preises, von dem man glaubte, er müsse bezahlt werden für diese Freiheit und Gleichheit, war das Aufgeben ethnischer Unterschiede. So wurden den Indianern in den USA Freiheit und Gleichheit aberkannt. In Frankreich wurden zum Beispiel die Bretonen und Basken, die ihre Identität während des monarchistischen Frankreich bewahrten, von der revolutionären Bruderschaft brutal unterdrückt. Dasselbe Schema wurde übernommen, als andere europäische Staaten die Aufklärungsmuster übernahmen. Im Vereinigten Königreich gab es eine erneute Bewegung, die irische, schottische und walisische Identität zu unterdrücken.

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts glaubte man, die Eliminierung ethnischer Besonderheiten sei uneigennützig. Vielfalt wurde als Hindernis für die Entwicklung einer demokratischen und industrialisierten Gesellschaft angesehen, die zu größerem Reichtum und größerer Zufriedenheit für einen größeren Teil der Einwohner führen würde. Dem zugrunde lag die Überzeugung, dass die primären menschlichen Bedürfnisse physischer Natur wären und sobald die Menschen einmal die Vorteile der Gleichförmigkeit erkannten, würden sie mehr als glücklich sein, ihre ethnische Identität über Bord zu werfen. Dieses modernistische politische Bekenntnis sagte zuversichtlich den Untergang ethnischer Identität voraus, als Folge seiner Gewichtung auf Rechte der Gleichheit für jeden einzelnen Bürger des Staates, ungeachtet ethnischer Identität, und dementsprechendes Wachstum an materiellem Wohlstand für jeden einzelnen Bürger. Jedoch geschah dies nicht.

Dies war das politische Credo, auf welches die nachkolonialen Staaten gegründet wurden. Ihre Unabhängigkeit basierte auf der Elimination der ethnischen Besonderheit. Aufgrund dieser Voraussetzung ist es nicht überraschend, dass die Schuld für das Versagen der vielen nachkolonialen Nationalstaaten ihrem Ethnozentrismus oder Tribalismus zugeschrieben wird.

Doch seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich das modernistische Musterbeispiel verändert, speziell in den westlichen Ländern. Multikulturalismus, welcher viel positiver eingestellt ist gegenüber ethnischen Besonderheiten, wurde in vielen Ländern zur Staatspolitik. In Europa hat dies bei einigen Ethne dazu geführt, ein bestimmtes Mab an Autonomie zu gewährleisten, wie bei den Katalanen in Spanien und den Schotten im Vereinigten Königreich. Dies könnte der Anfang eines nachmodernistischen Paradigmas der Nationalstaaten des Westens werden.

Ethne in der biblischen Geschichte von Gottes Auftrag

Das biblische Buch des Ursprungs (1. Mose 1-11) endet mit dem Bericht der Entstehung der Ethne (1. Mose 10,1-11,9). Im 1. Mose 10 wird die Existenz von Ethne als ein direktes Resultat der Umsetzung von Gottes Gebot an die ursprünglichen Menschen gesehen, sich zu vermehren und die Erde zu bevölkern. 1. Die Erfüllung dieses Gebotes wurde zweimal unterbrochen. Der erste Unterbruch ist die Flut, welche beinahe die ganze Menschheit vernichtete. Nach der Flut erneuerte Gott sein Gebot an die Menschheit, „fruchtbar zu sein und an Zahl zuzunehmen und sich auf der Erde zu vervielfachen und zu vermehren“. 2. Der Beweis, dass dieses Gebot erfolgreich war, findet sich in der Übersicht der Nationen im 1. Mose 10. Als die Familien von Noahs Söhnen zahlreicher wurden, veranlasste sozialer, wirtschaftlicher und sonstiger Druck einige Clans weiterzuziehen, um einen neuen Ort zu finden, an dem sie in besseren Verhältnissen leben konnten. Sehr früh in der Geschichte der Menschheit überquerten einige auf dieser Suche sogar das Meer, 3. sodass mit der Zeit eigenständige Völker in Existenz kamen und ‚sich mit ihren Sippen innerhalb ihrer Nation in ihre Gebiete ausbreiteten, alle mit  ihrer eigenen Sprache.’ 4.

Es ist interessant, dass gegenwärtige akademische Diskussionen über dieses Thema zeigen, dass die „Nationen“ aus dem 1. Mose 10 sehr eng mit den Hauptmerkmalen der Ethne korrespondieren. Viele der Namen im 1. Mose 10 befinden sich irgendwo zwischen Eigenname für eine ethnische Gruppe und dem Namen für einen Vorfahren. Zum Beispiel ist der Name Gomer, dem Sohn Japhets, ein Eigenname eines indogermanischen Volkes, welches im südlichen Russland lebte, und Madai oder Medes ist der Eigenname eines indoiranischen Volkes. 5. In den Versen 8 bis 12 gibt es einen Unterbruch im Geschlechtsregister, um die Geschichte von Nimrod zu erzählen, einem der Nachkommen von Cush, dem Sohn von Ham, der der Gründer von Babylon und Ninive in Mesopotamien war. Dies ist ein gutes Beispiel eines historischen Bildes, das eine ethnische Identität bildet. Die Vielfältigkeit der Sprache, die der Zerstreuung folgte, ist nach dem Stammbaum jedes einzelnen von Noahs Söhnen erwähnt, während einige Namen in der Liste auch Gebietsnamen sind. Mizraim/Ägypten, Seba, Chavilah und Dedan sind alles Beispiele von bekannten Gebieten. Das einzige Merkmal der Auflistung im 1. Mose 10, das nicht klar bezeugt wird, ist ein Sinn für Solidarität – aber wo die anderen fünf Faktoren existieren, ist Solidarität unvermeidbar.

Die Entstehung von Ethne im 1. Mose 10 wird vervollständigt durch die Geschichte des Turmbaus zu Babel im 1. Mose 11, 1-9. Die Ereignisse in Babel machen ersichtlich, dass, was im 1. Mose 10 als perfekter „natürlicher“ Prozess erscheint, in Wahrheit stark von der menschlichen Bosheit beeinflusst wurde.

Der Turmbau zu Babel war die zweite Unterbrechung in der Geschichte der Zerstreuung der Menschheit. Schon früh in der Geschichte nach der Flut, finden wir Menschen mit einer gemeinsamen Sprache, die von Ararat nach Osten übersiedelten, bis sie zum weiten und fruchtbaren Flachland von Mesopotamien kamen. Dort liessen sie sich nieder, vermehrten sich an Anzahl und Fähigkeiten. Um sich einen Namen zu machen, fingen sie an, einen Turm zu bauen, der bis in den Himmel reichen sollte. Wahrscheinlich ist dies die erste Proklamation eines Imperiums in der menschlichen Geschichte, wo, wie in diesem Fall, eine Stadt versuchte, den Rest der Menschheit zu dominieren und sich dabei einer Position bemächtigte, die allein Gott gebührt. Die Stadt und der Turm waren auch dazu bestimmt, ein magnetisches Zentrum der Kraft zu sein, das die Leute daran hindern sollte, sich voneinander zu entfernen und sich zu vermehren, wie  Gott es bestimmt hatte. Weil Er wusste, dass eine vereinigte Menschheit mit einer einzigen Sprache eine unendliche Kapazität für Rebellion hätte, verwirrte Gott ihre Sprache und verhinderte dadurch ihre Fähigkeit zu freier Kommunikation und zur Kooperation untereinander, was im Widerspruch zu Gottes Willen stand. Weil sie sich nun nicht mehr verstehen und miteinander kommunizieren konnten, war ihre Fähigkeit, sich Gott zu widersetzen und seinen Willen zu untergraben vernichtet. Ohne das Verstehen war eine Zusammenarbeit unmöglich. Deshalb wurde der Bau des Turmes abgebrochen und die Menschheit „zerstreute sich über die ganze Erde“. Das Ergebnis war genau das, was Gott ursprünglich für die Menschen geplant hatte: Die ganze Erde zu füllen mit Menschen ethnischer Vielfältigkeit. Zurückblickend auf 1. Mose 10 und 11 kann man daraus nur schlieben, dass die Bildung verschiedener Ethne Teil von Gottes Vorsehung war; doch dieser Prozess wurde durch die Sünde beeinträchtigt, wie auch alles andere seit dem Sündenfall.

Es gibt einen starken Kontrast zwischen der Geschichte des Turmbaus zu Babel und dem Anfang der Geschichte der Erlösung in der Berufung und dem Leben von Abraham. Die Babylonier waren aufgebrochen, sich einen eigenen groben Namen zu machen und bereiteten sich bewusst darauf vor, die Entwicklung der Ethne zu verhindern, um ihr Ziel zu erreichen. Bei Abraham hingegen wollte Gott Abrahams Name grob machen und durch diesen Prozess Segen zu den Nationen bringen. Die Unterdrückung oder Eliminierung von Ethne ist der Weg von Babel und das genaue Gegenteil des Segens, den Gott für sie will, durch Abrahams Samen Jesus.

Passagen wie 5. Mose 2,9-12.19-23; 32,8; Jeremia 18,1-10 und 27,1-7 bezeugen Gottes souveräne Kontrolle über die Ethne.6. Im Neuen Testament bekräftigt Paulus in seiner Rede an die intellektuellen Athener des Areopags, dass alle Nationen letztlich Nachkommen von Adam sind, und dass Gott bis jetzt und in Zukunft damit fortfahren wird, ihre Entstehung, geographische Ausdehnung und ihren Untergang zu beaufsichtigen. 7. Gottes Souveränität über die Ethne meint als Erstes, dass Nationen langfristig keine dauerhaften Gebilde sind. Sie entstehen, wachsen, florieren, nehmen ab und sterben, wie auch die Menschen. Daher gibt es keinen Platz für die Vergötterung des Ethnos, wie geschehen im ideologischen Nationalismus. Zum Zweiten hat Gott eine moralische Absicht im Umgang mit den Ethne/Nationen. Zum Beispiel kann Vergebung eine Nation vor dem Vergessen werden retten (Jeremia 18,7–10; Jona 3) und eine Nation kann von Gott benutzt werden, eine andere Nation für ihre Sünden zu bestrafen –obwohl das Letztere niemals von einer Nation dazu verwendet werden darf, aggressives Handeln oder Kriege gegen andere Völker zu rechtfertigen (5. Mose 9, 4-5).8.

Das Neue Testament fokussiert auf zwei zusätzliche Themen mit Wurzeln im Alten Testament. Auf der einen Seite sind die Nationen eingeladen zur Guten Nachricht des Reiches Gottes und heiben sie dann auch willkommen, prophetisch angesagt im 5. Mose 2, wenn die Nationen in den letzten Tagen nach Zion strömen, um Gott ihre Geschenke zu präsentieren. 9.  Die Krönung dieser Prophetie des Alten Testaments zeigt sich in der Vision des Johannes über die himmlische Herrlichkeit in Offenbarung 21,24 – 22, 5. Auf der anderen Seite sehen wir das Gegenbild, wie sich die Nationen zusammenschlieben und ein Komplott schmieden, um das Reich Gottes zu zerstören. Das Buch der Offenbarung  – wiederum ein Echo der Prophetie des Alten Testaments – zeigt dies als die Schlacht von Armageddon, einem endgültigen Kampf zwischen einem weltlichen Imperium, das die Ethne zerstört, und dem Königreich des Lammes, das die Ethne segnet. Bis zu diesem letzten Konflikt sollte kein Zweifel über unser Bestreben als Nachfolger des Lammes bestehen: unser Aufgabe sollte das Segnen der Ethne sein und nicht ihre Zerstörung.

In Offenbarung 7,9 sehen wir ein wunderschönes Bild des Wesentlichen, was die Bibel über die Nationen lehrt. Johannes sieht Menschen aus allen Nationen, Stämmen, Völkern und Sprachen, alle in weibe Roben gekleidet, wie sie vor dem Thron des Lammes stehen. Alle Ethne werden in Jesus und Seiner Gerechtigkeit vereint sein. Aber diese Einheit wird ihre Unterschiedlichkeit nicht zerstören, sondern sie werden anerkannt und unterschieden als Mitglieder verschiedener Nationen/Ethne. In Jesus, dem Messias, haben wir eine Einheit, die Verschiedenheit nicht zerstört, und eine Verschiedenheit, welche die Einheit nicht untergräbt.

Ethne in der modernen evangelikalen Mission in Theorie und Praxis

In der gegenwärtigen evangelikalen Missionstheologie gibt es keine schlüssige biblische Sicht der Ethnizität/Volksgruppe. Was wir einerseits haben, ist eine unkritische Akzeptanz der modernistischen politischen Philosophie, und auf der anderen Seite einige missionarische Praktiken, welche dem völlig widersprechen. Die häufige Verurteilung von Nationalismus/Tribalismus durch evangelikale Leiter ist Beweis einer Akzeptanz der modernistischen politischen Philosophie, wohingegen der anhaltende Drang, die Bibel in alle Sprachen zu übersetzen, ein Paradebeispiel einer missionarischen Praktik ist, welche dieser Philosophie widerspricht. 

In einem modernen Nationalstaat erwartet man, dass ethnische Unterschiedlichkeit im Zuge der menschlichen Gleichheit und des materiellen Wohlstands verschwindet. Es überrascht deshalb nicht, dass selbst viele Christen die sogenannten ethnischen Konflikte als Grund ansehen, warum das wirtschaftliche Wunder der Industrialisierung nicht geschehen ist und viele Staaten, speziell in Afrika, in Armut stecken bleiben. Doch der Grund des Problems ist eher die moderne politische Philosophie als die ethnische Identität. Dies ist keine Bejahung des Ethnozentrismus, sondern seine Ablehnung. Ethnozentrismus befindet sich an der Wurzel des modernistischen Nationalstaates. Deshalb kann der Staat selbst in einem Land wie Uganda nur funktionieren, wenn Englisch als eine offizielle Landessprache beibehalten wird, denn der übrig gebliebene Ethnozentrismus der kolonialen Unterdrücker wird als angenehmer empfunden als der Ethnozentrismus irgendeiner anderen ugandischen Ethne. Die Möglichkeit, einen Staat auf der Basis gegenseitigen Respekts zwischen den Ethne aufzubauen, wurde anscheinend nicht in Betracht gezogen.

Die evangelikale protestantische Missionsstrategie der Bibelübersetzung überschreitet diese modernistische Sicht eines Nationalstaates. Diese Methodik macht geltend, dass die Verkündigung des Evangeliums in der eigenen Sprache einer Person entscheidend sei für erfolgreiche Evangelisation. Selbst wenn Pragmatismus für einige Missionare die treibende Kraft ist, die Sprache einer Person zu lernen, um in der Lage zu sein, eine wichtige Botschaft zu kommunizieren, ist die Anerkennung der Würde und Bedeutung der ethnischen Identität ein wichtiges Schlüsselmerkmal. Sich zu verpflichten, eine Sprache schreiben zu lernen und die Bibel zu übersetzen, ist unglaublich edel und zeugt von ethnischer Identität. Grammatik, Wörterbücher und Bücher haben eine wesentliche Rolle in der Bildung und im Überleben der Ethne/Nationen gespielt. Auch wenn es gering erscheint: Bibelübersetzer bringen den Ethne eine gröbere Chance für ihr Überleben und Wachstum, damit sie ihr volles Potential als Nation erreichen!

Ethne, die Gemeinde und die Mission – brennende Fragen für eine Diskussion

  • Wie kann die Gemeinde das biblische Prinzip der Einheit trotz Vielfältigkeit in den Kontext der ethnischen Vielfältigkeit einbringen?
  • Wie können Anlässe in der Gemeinde ethnische Einheit trotz Vielfältigkeit wiederspiegeln?
  • Welchen Stellenwert sollte die ethnische Identität bei der Schulung von Leitern der Gemeinde haben? 
  • Sollen Christen darauf bestehen, dass die Grundausbildung aller in ihrer Muttersprache geschieht?
  • Sollten Gemeinden gründlicher nachdenken über die Beziehung zwischen ethnischer Identität und Armut?
  • Wenn die Gründung einer Gemeinde in einem Ethnos zu einem gröberen Bewusstsein dieses Volkes beiträgt, was sollte a) die Gemeinde und b) die Missionsorganisation tun, wenn dies zu einem Wunsch nach gröberer politischer Selbstentscheidung führt?
  • Rechtfertigt ein Nationalstaat mit einer freien Marktwirtschaft die Enteignung armer Ethne durch reiche Ethne?
  • Wie ist die biblische Lehre betreffend den Schutz des Geringsten und des Niedrigsten im Kontext der ethnischen Identität anzuwenden (5. Mose 7,7)?
  • Wie ist „liebe deinen (ethnischen) Nächsten wie dich selbst“ nach dem Vorbild  der inter-ethnischen Beziehungen im Reich Gottes anzuwenden?
  1. 1. Mose 1,28
  2. 1. Mose 9,7
  3. 1. Mose 10,5 ‚Sie haben sich auf die Inseln der Heiden verteilt…’
  4. 1. Mose 10,4, vgl. 10,20.31.32
  5. Gordon J.Wenham, 1. Mose 1-15 Word Biblical Commentary Band 1, Waco:Word Publishers, 1987, Seite 216-7.
  6. Für eine gute Analyse dieser Passage im 5. Mose 2, s. Christopher Wright, New International Biblical Commentary, Deuteronomy, Carlisle: Paternoster, 1996, S. 36. Einige andere Passagen, die dasselbe hervorheben, sind 5. Mose 26,19; Hiob 12,23; Psalm 22,28-29; 47,9; 86,9; Daniel 12,1; Apostelgeschichte 17,26-28.
  7. Apostelgeschichte 17,26-27.
  8. a.a.O. Seite 133.
  9. Jesaja. 60,1-11.

© The Lausanne Movement 2010